
I never went south/ ein Konzert
I never went south/ ein Konzert (2011)
Diplominszenierung von Lea Letzel am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Kooperation mit der Internationalen Ensemble Modern Akademie.
„Nackt und hilflos kommen die Menschen zur Welt. Prometheus stiehlt das Feuer vom Himmel und lehrt sie die Künste. So überleben sie. Die Menschen bauen Geräte und Fahrzeuge, um ihren Mangel zu überwinden. Indem sie sich der Kunst bedienen, fesseln sie sich an das hergestellte Zeug. Die Mechanik der Künste reproduziert die Amechanie des Mangels, die sie überwinden sollen.“ Hannes Böhringer – Das hölzerne Pferd
Videodokumentation: I never went south/ ein Konzert Trailer
Konzept, Regie, Raum: Lea Letzel
Komposition: Maximilian Maintz
Musikalische Leitung: Uwe Dierksen
Dramaturgie: Christian Grammel
Technische Beratung: Fabian Offert, Bjoern Mehlig
Ensemble der Internationalen Ensemble Modern Akademie: Matthew Conley, Trompete/ Eva Boesch, Violoncello/Vincent Hepp, Violine/Vincent Manuel Minguet‐Soria, Saxofon/ Francisco José Naranjo Reyes, Oboe/ Arlette Probst, Fagott/ Alberto Carnevale Ricci, Klavier/Deepa Goonetilleke, Horn/Delphine Roche, Flöte/ Marie Schmit, Violoncello/ Anna voor de Wind, Klarinette/Rho‐Mei Yu, Schlagzeug
Klangregie: Sarah Hölscher
Eine Kooperation des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft Giessen, der Internationalen Ensemble Modern Akademie, des Frankfurt LAB und dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe
Mit freundlicher Unterstützung des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus Liebig Universität Giessen, HTA, STEAM -Tonstudio der Hochschule für Musik Hanns Eisler, satis&fy,basis Frankfurt und dem Forstamt Giessen
Die Internationale Ensemble Modern Akademie wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.
Die IEMA-Stipendien werden gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, den Kulturfonds Frankfurt RheinMain und die Kunststiftung NRW für Künstler aus Nordrhein-Westfalen.
„Welchen Nutzen hat es zu komponieren, wenn das Werk in den engen Rahmen des Konzerts oder die Einsamkeit des Radioempfängers eingesperrt wird? Komponieren heißt, zumindest tendenziell, zu tun geben; nicht zu hören, sondern sie Szene, auf der die Musiker in oft glänzendem Spiel von einer Tonquelle zur andern hin- und herwechseln. Wir spielen zwar immer noch als Delegierende; es ist jedoch denkbar, daß das Konzert – später?- ausschließlich eine Werkstatt sein wird, die nicht, keinen Traum, kein Imaginarium, kurz, keine „Seele“ sich verströmen ließe und wo alles musikalische Tun in einer Praxis ohne Rest aufgegangen wäre. Diese Utopie zu formulieren, lehrt uns ein gewisser Beethoven, der nicht gespielt wird – deswegen kann in ihm ein Musiker der Zukunft vermutet werden.“ Roland Barthes – musica practica
Im westlichen Kulturkreis wird Musik primär über Schrift tradiert: Punkte, Linien und Wellen kodieren in einem komplexen System auf ebener Fläche das Zusammenspiel und den zeitlichen Verlauf von Klängen. Höhe, Dauer und Volumen sind graphisch dargestellt und fixiert.
I never went south/ ein Konzert versucht das bekannte Prinzip der musikalischen Notation in ein räumliches Prinzip zu übertragen. Architektonische Zusammenhänge, plastische Formen und Lichtsignale werden zur grundlegenden Spielanweisung für die Musiker. Als vermittelnde Instanz zwischen dem Komponisten und dem Musiker liegt nicht mehr die Partitur, sondern der dreidimensionale Raum.
Töne werden im digitalen Zeitalter zu ihrer Bearbeitung in der sogenannten Wellenform grafisch dargestellt. Sie erzählt die Geschichte eines Tons von der Entstehung bis zu seinem Verklingen. I never went south/ ein Konzert beruht auf der visuelle Analogie dieser Wellenformen – wie sie bei der grafischen Darstellung von Tönen genutzt werden- und der naturgegebenen Form von Nadelbäumen.
Die Wellenform als digitale Oberfläche zur Klangbearbeitung zeigt sich als Sequenz von aneinander gereihten Nadelbäumen. Ansatz für diese Gleichsetzung waren letztlich die Möglichkeiten und Visualisierungen der digitalen Audiotechnik. Klang ist kein rein akustisches Phänomen mehr, sondern erfährt seit Beginn der Digitalisierung eine Reihe weiterer „Verschriftlichungen“ neben der klassischen Notenform.
Die Darstellungals Wellenfrom zeichnet einen Ton nach von seiner Entstehung bis zu seinem Verklingen. Der Pegelausschlag, die Lautstärke also charakterisiert den visuellen Abdruck eines Tons.
Dabei unterscheidet sich der musikalische Ton von einem nicht-musikalischen Laut, weil jeder musikalische Ton aus einer Schallwelle besteht, deren Form sich vielfach wiederholt. Der Schall, also die Grundlage der Musik, der als „mechanische Schwingungen und Wellen eines elastischen Mediums im Frequenzbereich des menschlichen Hörens (16-20 000)Hz) liegt. Die Frequenz, also die Geschwindigkeit der Schwingung ist maßgeblich für die Tonhöhe, die Amplitude bestimmt die Lautstärke eines Tones.
Baum – Wellenform – Analogie
Das Notationssystem von I never went south/ ein Konzert beruht also auf der visuellen Analogie dieser Wellenformen, wie sie bei der grafischen Darstellung von Tönen genutzt werden und der naturgegebenen Form von Nadelbäumen. Würde man also das Bild eines Nadelbaumes in ein Tonverarbeitungsprogramm eines Computers einspeisen und dann behaupten, dieser Baum wäre das Abbild eines Klangs, würde sich der Tonvorrat der zu erarbeitenden Komposition aus den zur Verfügung stehenden Baumumrissen generieren.
Die Lichtsteuerung basierte in den ersten vier Teilen, also den Sequenzen 1-4, auf vier unterschiedlichen Kopplungsprinzipien, die mit den Bäumen verbunden waren.
Wie wir die Landschaft wahrnehmen, die uns umgibt, ist geprägt von den Ideen ihrer selbst. Landschaft als Ordnungssystem – und davon abgeleitet als musikalisches Notationssystem – zu verstehen, ist die Grundlage von I never went south/ ein Konzert. Die Bedeutungen der Elemente der Natur werden zu Gunsten einer intentionalen Komposition neu interpretiert. Unser Umgang mit der Natur ist strukturiert als ein System unterschiedlicher Ordnungsgrade.
„Menschen in Reih und Glied; Pflanzen in Reih und Glied. Die Natur ordnet verschieden und vielfältig, aber niemals so, wie der Mensch dies, meist aus ökonomischen Gründen tut: Die Natur ordnet niemals in Reih und Glied“ Louis G. Roy : Über die Degradation der Böden. Über die Brennessel
Der Wald manifestiert sich in seinem Chaos als Kontrast zur kultivierten Natur, des streng angelegten barocken Gartens, beispielsweise. Analog dazu lässt sich Musik verstehen als strukturierte Zeit, die durch unterschiedliche Organisationsgrade eine Grenze, bzw. einen Übergang zur Welt der Geräusche und alltäglichen Klänge schafft. Die Schaffung eines räumlichen Notationssystems macht im Gegensatz zur klassischen Partitur Notation und Komposition zugleich wahrnehmbar für ein Publikum. Die Grenzbereiche der Musik werden so auch als materielle, als architektonische Grenze erfahrbar.
I never went south/ ein Konzert wurde mit einer Nominierung für den Bühnenbildpreis Offenbacher Löwe 2012 ausgezeichnet.
Vorpremiere am 31.08.2011 FrankfurtLAB
Premiere am 30.09.2011 im medientheater des ZKM | Zentrums für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe
Dokumentation Tassilo Letzel: http://www.tassiloletzel.de/